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Stadtarchiv Bergheim

Die Bezirkshebamme Agnes Senf

Agnes Senf lebte und arbeite im 19. Jahrhundert als Hebamme auf dem heutigen Bergheim Stadtgebiet. Sie durfte aufgrund dieses Berufs - anders als die meisten anderen Frauen - Geburten bei den Behörden anmelden und tat dies bei den meisten unehelichen Geburten in dem von ihr betreuten Gebiet.

08.03.2023 - Weltfrauentag

Agnes Senf wurde 1819, also vor 204 Jahren, in Thorr geboren. Sie hatte mindestens zwei Geschwister: den Bruder Lambert Senf, geboren im Januar 1807 in Bergheim, und die Schwester Elisabeth (genannt Sibilla) Senf, die 1812 in Glesch geboren wurde. Agnes’ Schwester Sibilla war seit Oktober 1834 „Districts-Hebamme“ von Bergheim und verstarb mit nur 23 Jahren im Dezember 1835.

Im Amtsblatt der Königlichen Regierung zu Köln, Stück 17, vom „Dinstag, den 24. April 1838“, also vor 185 Jahren, findet sich auf Seite 114 unter „Personal-Chronik“ die folgende Notiz: „Die Hebammen-Schülerinnen Sophia Schmitz aus Köln und Agnes Senf aus Kenten im Kreise Bergheim, sind nach bestandener gesetzlicher Prüfung als ausübende Hebammen approbirt worden.“ Die Ausbildung der Hebammen erfolgte seinerzeit in der „Provinzial-Hebammen-Lehr-Anstalt“ zu Köln. Diese bestand bereits seit dem Jahr 1809 und hatte bezüglich der Lehre den Vorteil von hohen Patientinnenzahlen. Seit dem 19. Jahrhundert waren Hebammen, die praktizieren wollten, zur Teilnahme an Lehrgängen und Prüfungen verpflichtet, um eine Qualitätssicherung der Hebammenpraxis zu sichern.

Einige Wochen nach der Bekanntmachung über die erfolgreich bestandene Hebammenprüfung erschien am „Dinstag, den 5. Juni 1838“ im Amtsblatt der Königlichen Regierung zu Köln, Stück 23, auf Seite 152 unter „Personal-Chronik“ die folgende Bekanntgabe: „Die Hebamme Agnes Senf zu Kenten ist zur Bezirks-Hebamme für Bergheim, im Kreise gleichen Namens, ernannt worden.“ Damit war Agnes Senf mit 19 Jahren in die Fußstapfen ihrer älteren Schwester Sibilla Senf getreten.
Hebammen durften in der damaligen Zeit Geburten anmelden, den Müttern wurde dieses Recht nicht gewährt, sie mussten von einem männlichen Vertreter – zum Beispiel dem Ehemann – vertreten werden.

Laut der statistischen Darstellung des Kreises Bergheim aus dem Jahr 1863 war der Kreis Bergheim in 13 Hebammenbezirke unterteilt, insgesamt waren mit den vier Hilfshebammen 17 Hebammen tätig. Pro 2.363 Einwohner gab es im Kreis Bergheim im Durchschnitt eine Hebamme, auf einen Arzt kamen 3.652 Einwohner und eine Apotheke war im Durchschnitt für 13.389 Personen zuständig. Die Hebammen scheinen sich im Ausnahmefall gegenseitig vertreten zu haben. So gibt es mindestens eine nachgewiesene Geburt unter der Hilfeleistung von Agnes Senf im Gebiet der Niederaussemer Hebamme Margaretha Becker, Ehefrau Keller, zuständig für Niederaussem und Oberaussem.

Als Bergheimer „Distrikts-Hebamme“ war Agnes Senf zuständig für Geburten in der gesamten Bürgermeisterei Bergheim exklusive Wiedenfeld und Montagsend – aber zusätzlich für Paffendorf. Agnes Senf und die Bedburger Hebamme Gertrud Brings (Witwe Dohmen) scheinen bei ihrer Arbeit Unterstützung durch eine der vier im Kreis Bergheim ansässigen Hilfshebamme bekommen zu haben: In den Orten Glesch und Paffendorf übernahm, laut der im Bergheimer Stadtarchiv vorliegenden Geburtsurkunden, die Hilfshebamme Anna Katharina Esser (Ehefrau Conraths), die Betreuung der Geburten. Als Hebamme zuständig für Paffendorf war offiziell Agnes Senf, für Glesch war offiziell zuständig die Bedburger Hebamme Gertrud Brings. Die Hilfshebamme Anna Katharina Esser war also wahrscheinlich zeitgleich den Hebammen Agnes Senf und Gertrud Brings unterstellt und betreute bei ihnen die Frauen in jeweils einem Ort mit.


In den Jahren um 1860 verdiente frau als ausgebildete und zugelassene Hebamme 60 bis 150 Thaler im Jahr, davon konnte man schwerlich leben. Zusätzlich erhielten die Distrikts-Hebammen eine variable „besondere Besoldung von den Gemeinden“. Diese speiste sich aus den Gebühren, die bei Geburtsanmeldungen und Ziviltrauungen von den Bürgermeisterämtern erhoben wurden und am Jahresende „als Gratification für die Hebammen zur Verwendung“ kamen. Für Bergheim kamen so in den Jahren 1859 bis 1861 im Schnitt insgesamt jährlich 10 Thaler zusätzlich zusammen. Mehr Geld kam im Kreis Bergheim nur in Esch zusammen (im Schnitt 12 Thaler), andere Hebammen mussten sich mit weniger Geld begnügen (Kaster 2 Thaler, Pütz 5 Thaler, Königshoven 7 Thaler).

Am 12. und 19. Oktober 1845 hatte die bereits seit sieben Jahren tätige Hebamme Agnes Senf im Alter von 26 Jahren den 28jährigen Bergheimer Tischler Johann Blum geheiratet. In der Heiratsurkunde ist auch die Unterschrift von Agnes Senf zu sehen.


Ihr Ehemann Johann Blum ist als letzte Geburt im Geburtsregister des Jahres 1817 verzeichnet. Die Urkunde finden Sie rechts.  Agnes Senf und Johann Blum hatten mindestens zehn Kinder, die in den Jahren 1846 bis 1861 geboren wurden. Ein Sohn starb direkt nach seiner Geburt. Ihre eigenen Kinder wurden von ihrem Ehemann angemeldet. Parallel zu den Geburten ihrer eigenen Kinder arbeitete Agnes Senf kontinuierlich weiter als Hebamme. Dies lässt sich anhand der Geburtsurkunden von unehelich geborenen Kindern nachweisen: war die Gebärende unverheiratet, wurde die Anzeige der Geburt beim Beamten des Personenstandes durch die betreuende Hebamme, in Bergheim also durch Agnes Senf, vorgenommen. Somit wird Agnes Senf in verschiedenen Geburtsurkunden als Zeugin aufgeführt – auch in den Jahren, als sie selbst schwanger war oder gerade ein Kind geboren hatte.
 
Autorin: Bettina Rütten M.A.

Verwendete Quellen und Literatur:

Amtsblatt der Königlichen Regierung zu Köln. Neunzehnter Jahrgang 1834.

Amtsblatt der Königlichen Regierung zu Köln. Dreiundzwanzigster Jahrgang 1838.

Geburts-, Heirats- und Sterbeurkunden der Standesämter Bergheim, Hüchelhoven und Paffendorf von 1807 bis 1871.

Statistische Darstellung des Kreises Bergheim zunächst für die Jahre 1859, 1860, 1861. Herausgegeben von Carl Hubert Raitz von Frentz. Bergheim 1863.

Sarah Berend: Kooperation und Konflikte zwischen Hebammen und Ärzten im preußischen Bonn (1815-1933). In: Rheinische Hebammengeschichte im Kontext. Herausgegeben von Daniel Schäfer. Reihe: Kölner Beiträge zu Geschichte und Ethik der Medizin. Band 1, Seite 77-83.

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  • (c)Stadtverwaltung Bergheim
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